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Wie Ahrensfelde in eine rosige Nachwende-Zeit startete: Abweichler auf Lebenszeit sorgte für Einzug der Moderne

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Ortschronist Ahrensfelde
Paul Plume
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Website:www.ahrensfelde.de/aktuelles-mehr/ortschronisten
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Ortsentwicklung als Krimi

Stand: Oktober 2020

Sensationelle Entdeckung: In vier vergessenen Kellerräumen lagert Ahrensfeldes Historie aus über 40 Jahren!

„Mit diesen amtlichen Verwaltungsakten können wir die Entwicklung vom Ende der NS-Diktatur über die DDR bis kurz nach der Wende lückenlos nachvollziehen“, ist Paul Plume begeistert. Dieser Fund, den er als Ortsteilchronist gerade dabei ist, aufzuarbeiten, freut ihn umso mehr, weil er sich gerade vorgenommen hat, einen brisanten Zeitspiegel zu erstellen. Dieser soll 40 Jahre DDR und 30 Jahre BRD beleuchten.

Ahrensfelde als Krimi
Dabei kann der Chronist in seine Arbeit eine ganze Menge an persönlichem Wissen einbringen. So ist er, was heute kaum mehr im Bewusstsein ist, einer der „Väter des modernen Ahrensfelde“. In den Wirren der Wende ging es darum, für etwa zehn Hektar Bauland einen Investor zu finden.
„Dafür waren wir europaweit in Gesprächen. Zu den Interessenten gehörte sogar das weltweit agierende Londoner Ingenieurbüro, das Sir Ove Arup begründet hatte“, blickt Paul Plume zurück.
Deren futuristischer Entwurf stieß in Ahrensfelde allerdings auf wenig Gegenliebe.
Dessen ungeachtet wäre das Unternehmen fast gescheitert. „Schließlich gewannen wir eine Firma aus Frankfurt am Main als Investor. Sie hatte zwei Gesellschafter. Der Chef fuhr protzig im Mercedes S 600 auf. Dieses Modell war vielfach als Staatskarosse im Einsatz. Wir hingegen kurvten mit einem gebrauchten Ford durch die Gegend. Wir beschäftigten Städteplaner, Vermesser und weitere namhafte Firmen, die für die Bauvorbereitung nötig waren. Allerdings, als es ums Bezahlen ging, stockte es. Ich begann, nachzuforschen und kam darauf, dass der protzige Geschäftsführer wegen Hehlerei mit Gold rechtskräftig verurteilt war. Er saß in der hessischen JVA Frankfurt-Preungesheim ein und nutzte den Freigang für seine Auftritte bei uns“, staunt Paul Plume noch heute. „Die beiden hatten sich mit ihren Geschäftsverbindungen zum Baulöwen Jürgen Schneider gerühmt, der ja krachend pleite ging und bis 1999 vier Jahre einsitzen musste.“

Attraktives neues Quartier
Das neue Eigenheim-Quartier wurde schließlich durch einen Berliner Investor realisiert, der Plume für diese Aufgabe als Mitarbeiter anstellte.
„Im Zuge dieser Bebauung entstand, neben den neuen Einfamilien- und Doppelhäusern sowie Wohnungen im Geschossbau, der überaus reizvolle Park an der Wuhle“, freut sich Paul Plume.

Kriegs-Trauma
Der heutige Ortschronist von Ahrensfelde kam 1941 in Frankfurt (Oder) zur Welt.
Er war dorthin nach der Flucht aus Hamburg 1946 zurückgekehrt. „Meine Mutter war ständig auf der Suche nach etwas Essbarem. Wir spielten mit der liegengebliebenen Munition. Ich weiß noch heute, wie man eine Patronenhülse aufknackt. Einer meiner Schulkameraden verlor das Augenlicht durch eine Granate. In der Schule hatten wir einen ehemaligen Wehrmachtssoldaten als Lehrer. Er war durch seine Kriegs- und Gefangenschaftserlebnisse so verstört, dass er öfters im Alkoholrausch vor der Klasse stand. Dann schickte er einen Schüler, um Nachschub zu besorgen.“

Vom Strommast in die Schule
Plume war durch seine kirchliche Bindung „Abweichler auf Lebenszeit“. Er lernte mit 14 Jahren Elektromonteur, mit 17 war er bereits Facharbeiter. „Ich saß eines Tages im frostigen Winter auf einem Strommast und dachte mir: Soll das jetzt ein Leben lang so weitergehen?“
Kurzerhand stürmte er ins Gewerkschaftsbüro und schlug vor: „Ich werde Mitglied, kann ich dann auf die Ingenieur-Schule delegiert werden?“
Die Idee klappte. Plume landete schließlich im „VEB Starkstromanlagenbau Berlin“, der später mit dem „VEB Elpro“ fusioniert wurde.

Als „Richter“ im VEB
„Als Gewerkschafter wurde ich erst Mitglied und dann Vorsitzender einer Konfliktkommission. Diese war den Arbeitsgerichten vorgeschaltet. Meist ging es um Arbeitsrechtsfragen, nur einmal hatten wir einen politischen Fall: Da war ein immer zuverlässiger und grundehrlicher Arbeiter im Konsument-Warenhaus beim Klauen erwischt worden. Ich konnte das nicht glauben und recherchierte. Ich fand schließlich heraus: Es ging ihm nicht um die Zahnpastatube, er wollte auf diese Weise sein SED-Parteibuch loswerden!“

Strom für die DDR
Das Unternehmen war unter anderem für die elektrotechnischen Anlagen im Kraftwerksbau zuständig. Plume war für Projektierungsfragen im Einsatz, unter anderem in Moskau. Später war er für die Realisierung der geplanten Anlagen tätig. Seine große Stunde kam mit dem, was wir heute Digitalisierung nennen: „Wir hatten ein eigenes Rechenzentrum bekommen und waren damit Vorreiter. Allerdings gab es in der Übergangsphase bei meinen Kollegen erhebliche Vorbehalte, von dem bisher gewohnten Karteikartensystem abzurücken. Mir wurde der Posten als ‚Gruppenleiter für Produktionsplanung im Anlagenbau‘ angeboten, um das Projekt voranzutreiben. Für ‚Abweichler‘ und Nicht-Parteimitglieder waren die Aufstiegschancen ja immer etwas gebremst. Also sagte ich Ja, obwohl ich wusste, dass es im Moment eine Art Himmelfahrtskommando war.“
Doch mit Himmel kannte sich Plume aus, hatte ihn doch eine himmlische Fügung in Person einer hübschen Pfarrerstochter nach Ahrensfelde gebracht. Seit 1963 sind er und Ingridmaria Plume verheiratet.

Digital-Pionier
Tatsächlich gelang es in nur sechs Monaten, die gewünschten Informationen des 8 000-Personen-Betriebs einzuspeisen.
„Wir hatten damit eine immense Datenmenge, die es als nächstes für die tägliche Arbeit zu verdichten galt. Ich belegte dazu bei Robotron in Dresden Programmier-Kurse. Vorher hatte ich an der TU Dresden im Fernstudium als Diplom-Betriebswirtschaftler abgeschlossen.“

Pleite vor Augen
Ausgestattet mit dem aktuellen digitalen Wissen erreichte das Team von Paul Plume, dass mit der Zeit viele Unternehmensbereiche im Anlagenbau digitalisiert wurden. „Unmittelbar nach der Wende sahen wir, dass wir mit dem Westen hier teilweise durchaus auf Augenhöhe waren“, schmunzelt er.
„Gegen Ende der 1980-er Jahren war offensichtlich, dass wir auf den wirtschaftlichen Zusammenbruch zusteuerten. Das sahen viele ebenso klar wie mein SED-Direktor. Es wären nun grundlegende politische Weichenstellungen nötig gewesen.“

Wende in Ahrensfelde
Die Wende in Ahrensfelde startete von der Wohnung eines Arztes aus: „Wir trafen uns dort konspirativ. Lange wurde diskutiert, wie es weitergehen sollte. Die SPD sah bei uns keiner als Alternative. Lieber schon die Grünen? Schließlich einigte man sich, dass es keine Partei sein sollte, sondern dass die ‚Freien Wähler‘ die weiteren Geschicke von Ahrensfelde bestimmen sollten.“ Diese spielen bis heute im Ort eine wichtige Rolle. Mit einen Anteil an der positiven Entwicklung der Vorort-Gemeinde von Berlin hatte übrigens Ingridmaria Plume, war sie doch „20 Jahre Gemeindevertreterin“, so ihr Mann.

Alles transparent
Natürlich ist es für ihn als „Digital-Pionier“ keine Frage, dass er seine Chronistenarbeit per Computer erledigt. „Die Gemeinde hat mir dafür einen Laptop bezahlt“, strahlt er. „Zum Dank“ stellt er seine Arbeitsergebnisse regelmäßig auf die Seite der Gemeinde ins Internet. „Das kann jeder einsehen und unter Nennung der Quelle verwenden“, bietet er an. Damit macht er in einer Zeit, wo viele aus falsch verstandenem „Datenschutz“ möglichst alles geheim halten wollen, schon wieder als „Abweichler“ von sich reden und bleibt sich damit weiter treu.

Erstellt: 2020